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Die ILIAS:
wie viel Sage, wie viel Geschichte?

Die Elemente des ältesten Europäischen Werkes der Weltliteratur

 

Achill, Agamemnon, Odysseus, Nestor - sie alle haben gelebt. Sie haben wohl nicht so geheißen, aber sie haben sich so benommen: nämlich in erster Linie schlecht! So schlecht, wie sich Feudalherren (und -frauen), deren Hobbys Krieg und Gewalt, Berühmtheit und war. So gesehen stellen sich die von Homer besungenen "Helden" als Menschen aus Fleisch und Blut dar.

 

1. Indoeuropäisches (ie.) Erbe

 

Neben der Ilias und Odyssee basieren auch die großen altindischen Nationalepen Mahabharata und Ramayana  sowie das Nibelungenlied, zum Teil auch die Erzählungen um den altirischen Helden Cù Chulainn auf einer ie. epischen Tradition: Man erkennt deutlich Parallelen in Motiven, Handlung und Mythologie, bis hin zu Details. Die hypothetische  ie. Langzeile scheint für Saturnier, Hexameter, germanische Langzeile und auch ai. Versmaße das Vorbild gewesen zu sein. Die gemeinsame Wurzel diese Epen weist wohl ein Alter von mindestens 4000 Jahren auf. Offensichtlich besaß die mündliche Tradition von epischem Material durch ‚Berufssänger‘ mit hohem sozialem Status große Bedeutung in der ie. Gesellschaft (1). Das Besingen und Bewahren der Taten von hervorragenden Kriegern und Herrschern war der höchste Lohn für die ie. Kriegerkaste, und daher unsterblicher Ruhm (kléos áphthiton), auch um den Preis des eigenen Lebens, das höchste Ziel im Leben der ie. Heroen.

 

2. Wiederhall aus der Griechischen Bronzezeit

 

Feudalherrschaft der mykenischen Oberschicht (in der Ilias wiedergegeben durch Personen wie Agamemnon, Nestor, Achilleus, Odysseus, Diomedes und wie sie alle heissen). Gerade die ältesten Passagen aus der Ilias beschreiben in hervorragender Weise das materielle und geistige Leben dieser ‚heroischen‘ Epoche, wie es aus dem reichen archäologischen Material sehr gut rekonstruiert werden kann. Ebenso weisen die anscheinend ältesten Teile der Ilias sprachlich in die Zeit des Linear B (15. bis Ende 13.Jh v.Chr.).

 

3. Wiederhall der Katastrophe des ausgehenden 13. und beginnen­den 12. Jh.

 

Zahlreiche blühende und wehrhafte Städte des östlichen Mittelmeer­raumes wurden zerstört und geplündert. Die Ursache(n) für diese Ereignisse sind bis heute nicht wirklich klar:

 

  • Das Wüten der ‚Seevölker‘;  Zusammenbruch des Fernhandels

  • Neue Waffentechnologien (Eisen; Naue Typ II Schwerter; Abkehr von der Kampftaktik mit Streitwagen)

  • Migrations­­­­druck von Norden (Abbruch der Hethitischen Aufzeich­nungen um 1180; ‚Phrygische/Illyrische Wanderung‘??)

  • Es wurden auch immer wieder Veränderungen des lokalen und globalen Klimas mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Es fehlen allerdings jegliche Indizien, die diese Sichtweise unterstützen würden.

 

Man könnte beim Betrachten der griechischen Sagenwelt, die ihre Wurzeln in dieser Zeit hat, den Eindruck gewinnen, dass ‚Städte nieder­reißen‘ eine Art zeitgeistiger Sport für unterbeschäftigte mykenische Ritter war (Iason, Sieben gegen Theben, Ilias selbst). Die Odyssee und die Mythologie dieser  Zeit zeigen eindrucksvoll den katastrophalen Nieder- und schließlich den Untergang der mykenischen Adels­gesell­schaft nach dem ‚Troianischen Krieg‘, was durchaus  im Einklang mit dem archäologischen Befund steht.

 

​4. Wiederhall einer Belagerung und Zerstörung von Ilion

 

wenn man den Ansichten der Griechen der klassischen Zeit folgen will, fand der ‚Troianische Krieg‘ von 1190 bis 1180 statt. Das würde gut zur Ausgrabungsschicht Troia 7b/c passen, ebenso zu dem oben erwähnten Zusammenbruch der hethitischen Kanzlei um 1180. Jedenfalls  haben besingenswerte Städtezerstörungen zu dieser Zeit in diesem Raum in großer Zahl stattgefunden. Die archäologische  Faktenlage erlaubt es jedenfalls nicht auszuschließen, dass ein mykenisches Heer zu Beginn des 12. Jhs. versucht hat, Ilion zu erobern, was schließlich nach ca. 10-jähriger Belagerung tatsächlich gelungen zu sein scheint.

 

5. Wiederhall der Aiolischen Wanderung (ca. 8./9. Jh.)

 

Aiolische Aoiden mögen das reichlich vorhandene, in mündlicher Tradition weitergegbene epische Material ihrer Zeit dazu verwendet haben, um eine oder mehrerer unterschiedlich große epische Dichtungen zu schaffen, das die historischen Abläufe bei der Landnahme im NW Kleinasiens durch ihren Stamm widerspiegelt. Die Sprache der Ilias (ein schwieriges Kapitel für sich) scheint auf einem ionisierten aiolischen Dialekt mit zahlreichen ‚Mykenis­men‘ und vielleicht sogar ‚Indoeuropäismen‘ zu fußen (s.u.). Die Mykenismen waren wohl  oft der Metrik geschuldet (Daktylen sind nicht allzu häufig), gaben aber dem Vortrag des Epos zusätzlich wohl ein archaisches, nost­algisches Flair.

 

6. Ionisierung des vorliegenden Materials und Dichtung neuer Elemente

 

durch einen oder mehrere Dichter (‚Homeros‘) etwa im 8. Jh. in altertümlichen Ostionisch. Die sog. Homerische Frage ist bis heute ungelöst und wird es wohl auch bleiben. Daher ist der Spekulation Tür und Tor geöffnet, und so dürfen auch wir den Versuch einer Beantwortung wagen, wenn auch mit gebotener Vorsicht: Homer als eine Person oder stellvertretend  für eine Gruppe von Dichtern/Sängern (einer Schule?) aus dem kleinasiatischen Ionien wählt aus, kompiliert und glättet das reichhaltige, wohl sehr heterogene Material (epischer Zyklus usw.). Das entstandene Epos deckt eine relativ kurze Zeitspanne von knapp 3 Monaten ab. Alle anderen Ereignisse vor, während und nach dem ‚Troianischen Krieg‘ werden als bekannt vorausgesetzt. Die unserer Meinung nach großartige dichterische Leistung ‚Homers‘ besteht darin, dass er eindrücklich zeigt, wie sehr übertriebener Ehrgeiz, Eitelkeit und Alphatiergehabe zum Unglück und unnöti­gem Tod zahlreicher Menschen führt, als ob der Kampf um Troia nicht schon genug Unheil über die Kontrahenten gebracht hätte und noch bringen würde (‚Der Zorn des Achilleus‘; die Dichtung beginnt ja bezeichnenderweise programmatisch mit dem Wort ‚Menis‘, Zorn).  Diese beinahe humanistische Sicht der Dinge ist wohl ein völlig neues Element in der Welt­literatur. Die Sprache ist Ionisch, Aiolismen und Mykenis­men sind häufig und oft (aber nicht immer) der Metrik geschuldet. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die ursprüng­liche Sprache des Epos Aiolisch war. Auch kann man spekulieren, dass die Elemente, die zur Entstehung der aiolischen Fassung beigetragen haben, in einer älteren, alt-, ur- oder gemein­griechischen Sprache abgefasst waren. Die anscheinend rein ionischen Passagen wurden früher als späte (klassische?) Einschübe angesehen. Es könnte allerdings sein, dass grade diese Passagen genuine Neu­dichtungen des/der Verfasser(s), natürlich in korrektem Ionisch sind. Auch inhaltliche Überlegungen – so wird behauptet – weisen in diese Richtung.

 

7. Die Beurteilung

 

inwieweit,  bzw. ob überhaupt die sechs hier kurz ausgeführten Gegebenheiten und Ereignisse tatsächlich zur Entstehung des Werkes beigetragen haben, bleibt jedem überlassen, der sich für diese Thematik interessiert und die Faktenlage auch einiger­maßen kennt.

 

Fußnote:

 

(1)

Die ie. Gesellschaft war (modifiziert nach G. Dumezil) im wesentlichen dreigeteilt; diese Tatsache spiegelt sich in   den religiösen Vorstellungen der ‚Indoeuropäer‘ sehr deutlich wider.

 

1. Klasse/‚Kaste‘: Priester, Rechtssprechung, Magie, Ritualkunde; zugehörige Farbe: weiß

2. Klasse/‚Kaste‘: Krieger/Held; Verteidigung, aber auch Raub und Aggression; zugehörige Farbe: rot

3. Klasse/‚Kaste‘: Bauern, später auch Händler; Versorgung der Bevölkerung. Später oft rechtlos/leibeigen, dominiert von Eliten der 1. Und 2. Klasse; Farbe: i.w. braun, es können aber alle gedeckten Farben für die 3. Klasse stehen.

 

Die Farben der Nationalflaggen zahlreicher Europäischer Länder unterstreichen diese Sichtweise der Dreiteilung und Farbzuteilung: Z.B. Rot, weiß, blau/grün/schwarz (Frankreich, Italien, Tschechien, Balkanländer, Niederlande, ehem. Deutsche Flagge usw.).

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